Zwischen Himmel und Heimat: Dialog über Zugvögel inspiriert durch "Nomaden der Lüfte'"

An einem inspirierenden Abend am 8. Dezember lud der Kulturverein Lukini e.V. aus Lenzen zu einer lebhaften Diskussion über den Naturfilm „Nomaden der Lüfte“. Im Zentrum stand Marion Korsch, die erfahrene Rangerin der Naturwacht Brandenburg aus Lenzen. In einem angeregten Austausch mit Anette Schäfer teilte sie faszinierende Einblicke in die Welt der heimischen Vögel, inspiriert durch die Thematik des Films. Ihre Ausführungen beleuchteten auf spannende Weise den Lebensraum und die Lebensgewohnheiten der Vogelarten in der Elbtalaue.

Nachgespräch Nomaden der Lüfte

Anette Schäfer: Wie viele Arten von Zugvögeln besuchen uns pro Jahr? Sind darunter auch seltene Arten?

Marion Korsch: In unserem Biosphärenreservat haben wir 168 Brutvogelarten, wobei die meisten Zugvögel sind. Die ziehenden Brutvögel aus Nord- und Nordosteuropa rasten oder überwintern hier bei uns. Momentan sehen wir viele Rotkehlchen und Wacholderdrosseln.

Etwa 90 Arten von Wat- und Wasservögeln rasten in unserer Gegend. Auf Feldern und im Grünland fallen große Ansammlungen von Gänsen, Schwänen und Kranichen auf. Auf den Gewässern beobachten wir jetzt mehr Enten und Blässhühner. Zudem kommen Greifvögel wie Kornweihen, Mäuse- und Raufußbussarde aus Nord- und Nordosteuropa zu uns. In unseren Gärten sind jetzt auch vermehrt Sperber zu sehen.

Manchmal beobachten wir auch einige wenige Waldsaatgänse. Aufgrund der Klimaveränderungen rasten leider nicht mehr so viele wie früher hier. Diese Gänse brüten in Westsibirien und überwintern in Nordostdeutschland sowie Polen. Es gibt von dieser Gänseart nur noch zwischen 10.000 und 15.000 Vögel. Wegen der Gefährdung, die teilweise mit Überjagung zusammenhängt, wurde 2015 ein internationaler Aktionsplan zur besseren Schutz der Art verabschiedet.

Anette Schäfer: Du zählst die Vogelpopulationen regelmäßig - wie funktioniert das? Und welche Veränderungen hast du im Laufe der Jahre bemerkt?

Marion Korsch: Im Winterhalbjahr zählen wir alle 14 Tage. Eine Stunde vor Sonnenaufgang beginnen wir mit der Zählung von Gänsen, Schwänen und Kranichen an 24 Schlafplätzen und notieren die Abflugrichtungen zu den Nahrungsflächen. Tagsüber zählen wir in 40 elbnahen Gebieten die Rastvögel vom Auto aus. Wir bestimmen die Anzahl an den Schlafplätzen und das Verhältnis der Arten zueinander bei der Tageszählung. Im Oktober führen wir sogar wöchentliche Zählungen durch, um die Bestandsgröße und den Zugverlauf der Kraniche zu erfassen. Früher zählte ich als Ehrenamtliche zu Fuß in einem Gebiet, heute können wir mit dem Auto zehn Gebiete abdecken. Wer möchte, kann mich gerne bei einer Zählung begleiten.

Klimatische Veränderungen sorgen für günstigere Überwinterungsbedingungen verschiedener Rastvogelarten. Mehr Schlafgewässer bleiben eisfrei, und die Nahrung ist bei milden Wintern leichter erreichbar. Das hat zu einem Anstieg der Rastbestände von Schwänen und Gänsen in unserer Region geführt.

Bei der Graugans beispielsweise beobachten wir eine deutliche Verkürzung des Zugweges. Spanien und Frankreich, ehemals beliebte Überwinterungsgebiete, werden nun weitgehend gemieden. Die Graugänse überwintern jetzt in West- und Mitteleuropa und teilweise auch hier bei uns. Dadurch kommt es zu einer Zunahme der Rastbestände im Spätherbst und Winter. Die Gänse kehren früher in die Brutgebiete zurück, manchmal schon im Dezember. Der Mauserzug nach Westeuropa findet nicht mehr statt. Ostdeutsche Brutvögel mausern nun weitgehend in Ostdeutschland selbst, und teilweise gibt es Zuzug aus Osteuropa. Auch der Mauserzeitpunkt hat sich von Anfang/Mitte Juni auf Ende Mai/Anfang Juni vorverlegt.

Die Überwinterungsgebiete der Waldsaatgans verlagern sich nach Vorpommern und Polen. In den Niederlanden und am Westrand des Verbreitungsgebiets wurden die Überwinterungsgebiete aufgegeben. Im Herbst trifft die Gans später ein und zieht im Frühjahr früher ab.

Die Zugwege unserer heimischen Kraniche verkürzen sich. Immer mehr Kraniche überwintern in Deutschland. Wer weniger weit ziehen muss, ist fitter und kann frühzeitig die besten Reviere besetzen.

Anette Schäfer: Welche unserer Arten legt die längste Strecke im Jahr zurück? Und wohin?

Marion Korsch: Unsere Seeschwalben, darunter die Flussseeschwalben und die Trauerseeschwalben, überwintern an der Westküste von Afrika. Ein Teil unserer Weißstörche, die größtenteils zu den Ostziehern gehören, zieht über die Türkei nach Afrika und fliegt, abhängig von den Bedingungen, teilweise sogar bis nach Südafrika.

Anette Schäfer: Welche Art von Zugvogel findest du am interessantesten? Und warum?

Marion Korsch: Der Weißstorch ist besonders beeindruckend, über den wir mittlerweile sehr viel wissen. Zum Beispiel kann er 150 bis 200 km und in Ausnahmefällen auch 400 km am Stück fliegen. Als Langstreckenzieher legt er bis zu 12.000 km zurück.

Da ihm die Thermik fehlt, muss er das Mittelmeer umfliegen. Die sogenannten Westzieher nehmen den Weg über die Meerenge von Gibraltar und überwinterten früher in der westlichen Sahelzone.

Als ich Kind war, gab es in der Sahelzone viele Dürren und eine große Hungernot, die oft in der Tagesschau gezeigt wurde. Dies hatte auch Auswirkungen auf die Weißstörche im Überwinterungsgebiet, wodurch die Westzieher immer seltener wurden.

Heutzutage sind die Bedingungen im Überwinterungsgebiet der Westzieher besser. Zudem verkürzt sich der Zugweg aufgrund der neuen Überwinterungstradition auf der Iberischen Halbinsel, wo die Weißstörche von der Zunahme an Müllkippen, der starken Ausweitung des Reisanbaus in Spanien sowie der Bestandszunahme des invasiven Roten Amerikanischen Sumpfkrebses profitieren. Dies führt aktuell auch zum starken Anstieg der Westpopulation.

Die Ostzieher fliegen über den Bosporus und die Länder des Nahen Ostens nach Afrika. Sie ziehen das Niltal hinauf bis in den Sudan. Von dort geht der Zug weiter in Richtung Ostafrika. Die Winterquartiere der Oststörche befinden sich in Ost- bis Südafrika. Sie legen eine Strecke von etwa 10.000 km zurück und benötigen dafür ein bis anderthalb Monate. Es gibt auch einzelne Störche, die westlich und östlich um das Mittelmeer fliegen.

Was ich besonders faszinierend finde, ist, dass die jungen Störche ein bis zwei Wochen vor den Altvögeln ins Winterquartier aufbrechen. Woher kennen sie die Route und wie finden sie geeignete Rastplätze?

Anette Schäfer: Was macht unsere Gegend besonders attraktiv für Zugvögel?

Marion Korsch: Die elbnahen Bereiche sind ein traditionelles Rast- und Überwinterungsgebiet für Gänse und Schwäne. Während die Schlafgewässer in ihren Brutgebieten zugefroren und die Nahrungsflächen schneebedeckt sind, finden sie hier offene Gewässer und Nahrungsflächen. Nach der Wasserstandsanhebung im Rambower Moor schlafen dort mittlerweile die meisten Kraniche in unserer Region. Tagsüber finden sie energiereiche Nahrung auf den angrenzenden Raps-, Mais- und Wintergetreidefeldern. Auch in den Gewässern der Deichrückverlegung schlafen Kraniche. Durch Wiedervernässungsprogramme, energiereiche Nahrung auf den Ackerflächen und die milderen Winter konnten sich die Kraniche, die in Deutschland beinahe ausgestorben waren, auf rund 12.000 Brutpaare allein in Deutschland vermehren.

Anette Schäfer: Was können wir für den Erhalt der Zugvögel tun?

Marion Korsch: Eine schnelle Anpassung der Vogelarten an den Klimawandel ist entscheidend. Zugvögel benötigen intakte Lebensräume in ihren Brut- und Überwinterungsgebieten sowie an den Rastplätzen entlang ihrer Zugrouten. Es ist wichtig, dass die aktuellen Hotspots für Zugvögel geschützt und vernetzt werden. Der weltweite Verlust von Feuchtgebieten in den letzten Jahrzehnten war dreimal schneller als der von Wäldern. Der Klimawandel beeinflusst die Zugzeiten und den Brutbeginn, das Zugverhalten, die geografische Verbreitung und die Populationsentwicklung.

Viele Zugvögel kehren im Frühjahr etwa drei Wochen früher aus ihren Winterquartieren zurück als noch vor 40 Jahren. Manche ändern ihre Abzugszeiten im Herbst, was sich teilweise auf die Aufenthaltsdauer im Brutgebiet auswirkt. Auch der Brutbeginn wird immer früher. Die frühe Rückkehr liegt unter anderem an den steigenden Temperaturen in Afrika und am abnehmenden Regen an den wichtigen Rastplätzen an der Mittelmeerküste. Die Vögel machen dort nur kurze Rast und setzen ihre Reise schnell nach Norden fort.

Unsere Langstreckenzieher legen immer weitere Strecken zurück. Beispielsweise wird die Nachtigall im Jahr 2070 fast 800 Kilometer weiter und mindestens fünf Tage länger fliegen müssen. Selbst wenn ein kleiner Vogel sich in seinem Überwinterungsquartier oder an einem Rastplatz maximal mit Fettreserven versorgt hat, reicht dies gerade aus, um die Sahara zu überqueren. Mit fortschreitender Wüstenbildung bleibt den Vögeln keine andere Wahl, als erschöpft zu landen, oft ohne vor Ort Nahrung zu finden.

Besonders bei der seltenen Waldsaatgans ist die Jagd das größte Problem. Daher ist die Jagd auf alle Saatgänse in Brandenburg verboten.

Anette Schäfer: Welche Angebote macht die Naturwacht dazu?

Marion Korsch: Wir informieren in Veranstaltungen, Exkursionen und Artikeln über die Degradierung von Lebensräumen und wichtigen Rastgebieten, über Vogeljagd und Vogelhandel sowie die Gefahren von Kollisionen und Krankheiten während des Vogelzugs.

Durch unsere Zählungen der Rastbestände dokumentieren wir die Veränderungen. Für einen wirksamen Schutz der Tiere sind detaillierte Informationen über die Rast- und Überwinterungsgebiete sowie die Bestände notwendig.

Bei Kindern und Jugendlichen wecken wir das Interesse für Natur- und Umweltschutz. In enger Zusammenarbeit mit der Verwaltung des Landesamtes für Umwelt übernehmen wir die Schutzgebietsbetreuung. Wir achten darauf, dass sich die Schutzgebiete nicht verschlechtern und dass die Vorschriften der Naturschutzgebietsverordnungen und des Jagdgesetzes eingehalten werden.

Gebiet

  • Biosphärenreservat Flusslandschaft Elbe

Meldung vom 15.12.2023